Tilla Durieux
1880 - 1971
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Lebenslauf
- 18. August 1880: Tilla Durieux wird als Ottilie Godeffroy in Wien als Tochter des Professors für Chemie Richard Godeffroy und der aus Ungarn stammenden Pianistin Adelheid Ottilie Augustine Hrdlicka
- 1898: Eintritt in die Theaterschule von Karl Arnau in Wien, Annahme des Künstlernamens Durieux (nach dem Geburtsnamen ihrer Großmutter du Rieux)
- 1901: Erster Auftritt als Tiroler Knabe in Der Vogelhändler in Olmütz
- 1902/03: Engagement in Breslau, Auftritte in Stuttgart
- 1903-11: Engagement in Berlin, unter der Leitung Max Reinhardts erste Auftritte als Wassalissa in Nachtasyl, Durchbruch in der Rolle der Salome
- 1904: Heirat mit dem Landschafts- und Porträtmaler Eugen Spiro
- 1910: nach der Scheidung von Spiro heiratet Durieux ihren zweiten Mann, den Verleger und Kunsthändler Paul Cassirer
- 1911-14: vielfältige Gastspiele u.a. Prag, St. Petersburg, Wien und Zürich
- 1914: Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges meldet sich Durieux freiwillig zum Dienst als Krankenschwester
- 1920: Durieux kehrt nach Berlin zu rück und avanciert zu einer der gefragtesten Schauspielerinnen der Weimarer Republik, u.a. Gastspiele in New York
- 1926: nach einem Streit mit Durieux nimmt sich Cassirer das Leben; zeitweiser Rückzugs Durieux‘ aus dem Schauspielleben
- 1927: Zusammenarbeit mit Erwin Piscator am Berliner Theater am Nollendorfplatz
- 1930: Heirat mit Durieux‘ drittem Ehemann, dem Unternehmer Ludwig Katzenellenbogen
- 1933: Nach der Machtübernahme durch Hitler flüchtet Durieux in die Schweiz, spielt jedoch weiter Theater und hat Gastauftritte in ganz Europa
- 1934-38: Durieux geht nach Jugoslawien ins Exil, leitet dort ein Hotel und hat weiterhin verschiedene Engagements sowie Gastauftritte
- 1941: Einmarsch deutscher Truppen in Jugoslawien; Ludwig Katzenellenbogen wird verhaftet und nach Berlin verschleppt, wo er 1943 stirbt; Durieux engagiert sich in der Folge für jugoslawische Widerstandstruppen
1945-1951: Durieux arbeitet als Näherin und Regieassistentin in einem Puppentheater in Zagreb
1952: Gastspiel in Berlin, Durieux entschließt sich jedoch zur Rückkehr nach Jugoslawien, wo sie für weitere drei Jahre bleibt
1955-1958: Durieux hat weiterhin Gastspiele in der BRD, wirkt zugleich in verschiedenen Hörspielen und Filmen mit
- 1959: Durieux wird Ehrenmitglied der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste; Tournee durch die BRD mit dem Ein-Personenstück Langusten
- 1960: Erhalt des Bundesverdienstkreuzes Erster Klasse
- 1961: erneute Tournee durch die BRD sowie den Erhalt der Mitgliedschaft in der Akademie der Künste
- 1963: Verleihung des Filmbands in Gold für „Verdienste in und um den dt. Film“; Ernennung zur Berliner Staatsschauspielerin
1965: Erhalt des Bundesfilmpreises und der Ehrenmitgliedschaft in verschiedenen Berliner Ensembles
1970: Ehrung mit dem Großen Verdienstkreuz des Verdienstordens der BRD
21. Februar 1971: Tilla Durieux stirbt mit 90 Jahren an den Folgen eines Oberschenkelhalsbruchs
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Zitate
„Während dieser Zeit bekam ich ein Telegramm, das mir anbot, in Berlin bei Reinhardt vorzusprechen. Ich war also genau zwei Mal sechs Monate auf der Bühne gestanden. Fuhr heimlich also nach Berlin – denn ich hatte ja in Breslau einen fünfjährigen Vertrag, sprach bei Reinhardt vor […] und wurde sofort auch auf fünf Jahre engagiert. Das war natürlich ein ganz großes Erlebnis für mich, denn Reinhardt war eine so starke, eine so überragende Persönlichkeit, dass man sich wirklich dort als ein anderer Mensch fühlte und das, was ich schon immer gewollt hatte, ein anderes Leben, eine andere Auffassung von Kunst zu finden, das erfüllte sich da bei den Proben bei Reinhardt.“1
„Denn sie konnte herrlich erzählen; und das war ebenso lebendig wie lehrreich und lustig, die ganze deutsche Theatergeschichte von Brahm über Reinhardt bis Piscator und Brecht hatte sie an der Quelle mitgemacht, ja, war an den wesentlichen theatergeschichtlichen Ereignissen maßgeblich beteiligt. Ihr Gedächtnis ließ sie nicht im Stich, wenn sie am Erzählen war, keinen Namen, keine Stadt und kein Datum hatte sie vergessen. Bei aller temperamentvollen Lebendigkeit des Erzählens war der Verstand immer beim Formulieren beteiligt und die Sätze waren druckreif, wenn sie nicht gelegentlich wegen ihrer Deftigkeit im Ausdruck nicht ganz sicher vor der Zensur gewesen wären. […] Ihr Salon war im Berlin der 20er Jahre Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens, und es ist nicht übertrieben, wenn man sagt, sie beherrschte Berlin.“ 2
„Bald ist das 1956 verschwunden und ich habe die letzten Stunden davon benützt, um ruhig und ungestört nachzudenken. – Ich sah mich Puppenkleider nähen, Stunden um Stunden, wovon mein Rücken krumm wurde, ich sah mich arm wie eine Kirchenmaus 1952 in Berlin bei Barlog. Über die Regie damals will ich lieber schweigen, aber auch über meine Leistung, nach 13 Jahren Stillschweigen, fern von der Bühne. […] In Berlin merkte ich erst richtig, wie groß mein Erfolg hier war. Aber wie wäre es geworden, wenn Sie mir nicht so geholfen hätten. Mit allem! Mit Ihrer Regie und mit dem warmen Gefühl, das Sie für mich hatten.“ 3
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Inszenierungsverzeichnis
Ort
Datum
Autor und Stück
Rolle/Funktion
1899
Wien
14.10.
Schneider: Kurmärker und Picarde
Marie
1901
Olmütz
Zeller: „Der Vogelhändler“
Tiroler Knabe
Olmütz
29.9.
Molière: Der eingebildete Kranke
Belinde
1902
Olmütz
13.2.
Sardon: Cyprienne
Cyprienne
1902/03
Breslau
Schönthan: Die goldene Eva
Frau Eva
Breslau
Lessing: Emilia Galotti
Orsina
Breslau
Goethe: Götz von Berlichingen
Georg
Breslau
Sudermann: Sodoms Ende
Ada
Breslau
Grillparzer: Die Jüdin von Toledo
Esther
Breslau
Gorki: Nachtasyl
Anna
Posen (Gastspiel)
Wilde: Salomé
Salomé
Posen (Gastspiel)
Hofmannsthal: Die Hochzeit der Sobeide
Gülistane
1903
Berlin
Schiller: Kabale und Liebe
Lady Milford
Berlin
Hebbel: Judith
Judith
Berlin
Schiller: Don Carlos
Prinzessin von Eboli
Berlin
Schiller: Maria Stuart
Elisabeth
Berlin
20.5.
Wilde: Salomé
Salomé
1904
Berlin
Euripides: Medea
Chorführerin
Berlin
Björnson: Die Neuvermählten
Mathilde
Berlin
Wedekind: Der Kammersänger
Helene
1905
Wien (Gastspiel)
Shakespeare: Sommernachtstraum
Titania
1906
Berlin
Molière: Tartuffe
Elmire
Berlin
Shaw: Mensch und Übermensch
Ann Whitefield
1907
Berlin
Hauptmann: Das Friedensfest
Auguste
Berlin
Hebbel: Gyges und sein Ring
Rhodope
Berlin
Wedekind: Der Marquis von Keith
Gräfin Werdenfels
1908
Berlin
Schiller: Die Verschwörung des Fiesco zu Genua
Gräfin Julia
Berlin
Shaw: Der Arzt am Scheideweg
Jennifer
1909
München (Gastspiel)
Hebbel: Judith
Judith
Berlin
Ibsen: Gespenster
Regina
Berlin
Schiller: Don Carlos
Prinzessin von Eboli
1910
Wien, Mannheim, Breslau, Köln (Gastspiele)
Shakespeare: Hamlet
Königin
München (Gastspiel)
Sophokles: König Ödipus
Jokaste
1911
München (Gastspiel)
Wolff: Die Königin
Königin
Berlin
Aischylos: Orestie
Kassandra
Berlin
H. Mann: Schauspielerin
Leonie
1912
St. Petersburg, Wien, Frankfurt (Gastspiele)
Hebbel: Judith
Judith
München
Calderon: Circe
Circe
Berlin
Ibsen: Hedda Gabler
Hedda
1913
Berlin
H. Mann: Die große Liebe
Liane
München
Wedekind: Erdgeist/Büchse der Pandora
Lulu
München
Shakespeare: Antonius und Cleopatra
Cleopatra
Königsberg, Stuttgart, Frankfurt a.M., München, Berlin (Gastspiele)
Ibsen: Peer Gynt
Anitra
Schwerin, Stuttgart, Frankfurt a.M., Köln, Hannover, Bremen, Straßburg, Düsseldorf, München, Prag, Zürich (Gastspiele)
Schiller: Maria Stuart
Maria
1914
Berlin
Wedekind: Simson
Delila
1915/16
Berlin
Hebbel: Die Nibelungen
Kriemhild
Berlin
Grillparzer: Medea
Medea
1916/17
Berlin
Schiller: Kabale und Liebe
Lady Milford
Berlin
Goethe: Egmont
Margarethe von Parma
1917/18
Berlin
Ibsen: Frau Inger auf Oestrot
Frau Inger
Berlin
Wildenbruch: Die Karolinger
Judith
1919
München
Hebbel: Judith
Judith
München
Strindberg: Totentanz
Alice
1919/20
Berlin
Strindberg: Fräulein Julie
Julie
Berlin
Shaw: Pygmalion
Eliza
1920
Berlin
Prechtl: Alkestis
Alkestis
1921
Berlin
Ibsen: Wenn wir Toten erwachen
Irene
Berlin
Wilde: Ein idealer Gatte
Mrs. Chevely
Berlin
Strindberg: Totentanz
Alice
1922
Berlin
Hauptmann: Elga
Elga
Breslau, Hannover, Hamburg, Nürnberg, Stettin, Frankfurt a.M., Wien (Gastspiele)
Nicodemi: Der Schatten
Berta
1923
Berlin
Nicodemi: Der Schatten
Berta
1925
Wien
Wedekind: Franziska
Franziska
1926
Berlin
Wedekind: Franziska
Franziska
1927
Berlin
Shaw: Haus Herzenstod
Hesione
Berlin
Tolstoi/Schtschegolew/Piscator: Rasputin
Zarin
1928
Berlin
Lania: Konjunktur
Frau Barsin
Berlin
Blume: Treibjagd
Organ
1929
Berlin
Wedekind: Der Marquis von Keith
Gräfin Werdenfels
Wien
Akins: Hazard
Lisa
1932
Berlin
Schiller: Maria Stuart
Elisabeth
1932/33
Den Haag, Luzern (Gastspiele)
Nicodemi: Der Schatten
Berta
1933
Berlin
Alsberg: Konflikt
Christine Kühne
Prag, Zürich, Wien (Gastspiele)
Alsberg: Konflikt
Christine Kühne
1934
Zürich, Skandinavien (Gastspiele)
Maugham: Der Brief
Leslie
1935/36
Wien, Budapest (Gastspiele)
Ibsen: Gespenster
Frau Alving
1937
Prag (Gastspiel)
Shakespeare: Macbeth
Lady Macbeth
1938
Paris (Gastspiel)
Ibsen: Gespenster
Frau Alving
Wien (Gastspiel)
Gorki: Nachtasyl
Wassilissa
1946
Zagreb
Durieux: Zagreb
1952
Berlin
Fry: Der Erstgeborene
Anath
1953
Berlin
Greene: Verschlossene Räume
Therese
Berlin
Büchner: Woyzeck
Großmutter
1954
Berlin
Shaw: Pygmalion
Mutter Higgins
1955
Bremen
Schmidt-Barrien: Babuschka
Babuschka
Berlin
Strindberg: Traumspiel
Pförtnerin
1956
Wien
Giradoux: Für Lucretia
Barbette
Hannover
Ahlsen: Philemon und Baukis
Marulja
Darmstadt
Saroyan: Die Höhlenbewohner
Königin
1957
Bremen
Ahlsen: Philemon und Baukis
Marulja
1958
Luzern
Greene: Das Geheimnis
Mrs. Callifer
München
Ionesco: Die Stühle
Die Alte
Mönchen-Gladbach, Krefeld
Hofmannsthal: Jedermann
Mutter
1959
Essen
Willems: Es regnet in mein Haus
Germaine
Deutschland-Tournee
Denger: Langusten
Marie Bornemann
1961
Recklinghausen
Büchner: Woyzeck
Großmutter
Deutschland-Tournee
Denger: Langusten
Marie Bornemann
1962
Köln
Büchner: Woyzeck
Großmutter
Berlin
Hauptmann/Piscator: Altriden
Peitho
Berlin
Dane: Achtzig im Schatten
Sophie Carrell
1963
Hamburg
Strindberg: Traumspiel
Pförtnerin
1964
Münster
Giradoux: Die Irre von Chaillot
Aurélie
Berlin
Ryton/Barrington: Logierbesuch
Baronin Schönberg-Baritzka
1965
Hamburg
Eliot: Ein Familientag
Amy
Berlin
Ryton/Barrington: Logierbesuch
Baronin Schönberg-Baritzka
Westdeutschland-Tournee
Büchner: Woyzeck
Großmutter
1966
Berlin
Hay: Haben
Rézi
Bad Hersfeld
Goethe: Faust II
Baucis
1967
Münster
Duras: Ganze Tage in den Bäumen
Mutter
1968
Münster
Anouilh: Einladung ins Schloss
Madame Desmermortes
1969
Wiesbaden
Anouilh: Leocadia
Herzogin
Berlin
Denger: Langusten
Marie Bornemann
1970
Wiesbaden
Anouilh: Leocadia
Herzogin
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Literatur
Tilla Durieux: Eine Tür fällt ins Schloß. Roman. Horen, Berlin-Grunewald 1928.
Tilla Durieux: Eine Tür steht offen. Erinnerungen. Herbig, Berlin-Grunewald 1954 (entstanden 1944).
Tilla Durieux: Meine ersten neunzig Jahre. Erinnerungen. Herbig, München 1971.
Wilhelm Biermann: Tilla Durieux, Gedichte. Berlin 1925
Sigrid Bauschinger: Die Cassirers. Beck, München 2015, S. 327–359 (Tilla Durieux).
Renate Möhrmann: Tilla Durieux und Paul Cassirer. Bühnenglück und Liebestod. Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 1997.
Joachim Werner Preuss (Hrsg.): Tilla Durieux. Porträt der Schauspielerin. Deutung und Dokumentation. Berlin 1965
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Bestandsübersicht
Berlin: Der Berliner Teilnachlass Tilla Durieux umfasst insgesamt 26 Taschenkalender aus den Jahren 1920-1933 sowie 1953-1970; Tischkalender 1966-1971; private wie geschäftliche Korrespondenz; Lebensdokumente, auch der Familie (19. Jh.-1971); Abschriften von Texten für Lesungen; „Zagreb 1945“, Schauspiel von TD in Fotokopie; Auszeichnungen; Gratulationspost zum 80. wie 90. Geburtstag 1960 bzw. 1970; wenig gr. Literatur, Fotos und Presseausschnitte; Kondolenzlisten und Kondolenzbriefe an Erika Dannhoff adressiert.
Für das Projekt wurden zum einen ein Großteil der hier vorhandenen Korrespondenz sowie zum anderen exemplarisch fünf der Taschenkalender erfasst und aufgenommen. Gesamtumfang des Berliner Teilnachlasses: Drei Kästen.
Köln: Die Kölner Einzelsammlung Tilla Durieux umfasst Korrespondenzstücke (u.a. von/an Georg Altman, Rudolf Külüs, Paul Lindau, Rüdiger Reinhold, Martin G. Sarneck und Gustav Rudolf Sellner), Fotografien (Porträts, Proben, Inszenierungen), ein Foto-Album zum 78. Geburtstag, Manuskripte zu Reden, Theaterzettel und Programmhefte zu späten Inszenierungen, Gastspielverträge sowie Rezensionen. Ein Teil des Nachlasses, vor allem die Korrespondenzstücke, haben Eingang gefunden in die Autografensammlung der TWS.
Für das Projekt wurde der Teilnachlass zum überwiegenden Teil erfasst, aufgenommen und digitalisiert. Gesamtumfang der Kölner Einzelsammlung: Ein Kasten (vollständig berücksichtigt). Ergänzt wurde dieser Bestand durch visuelles Material (vornehmlich Rollenporträts und Inszenierungsfotografien) aus der Fotografischen Sammlung der TWS.
München: Die Bestände in Berlin und Köln wurden darüber hinaus sinnvoll ergänzt durch ausgewählte Inszenierungsfotografien sowie Rollenporträtgrafiken aus dem Deutschen Theatermuseum München.
Fußnoten:
1 Tilla Durieux erzählt . Radiointerview aus dem Jahr 1968 der Deutschen Welle aus der Reihe Erzähltes Leben. https://www.youtube.com/watch?v=WppBwNy4ICU [Teil 1].
2 Reinhold Rüdiger: Tilla Durieux bei der Landesbühne Hannover. Zum 90. Geburtstag der großen Schauspielerin . Manuskript aus dem Jahr 1970, Seite 4. TWS_OBJ0000144.
3 Tilla Durieux an Gustav Rudolf Sellner, Brief aus dem Jahr 1956. TWS_OBJ0000242. Theaterwissenschaftliche Sammlung, Universität zu Köln.